Das Leben in Bescheidenheit verbracht

In unserer Serie berichten uns ältere Menschen, die in der Rhode Lienz wohnen, aus ihrem Leben.

Jakob Heeb ist mit seinen 91 Jahren der älteste Einwohner in der Rhode Lienz. Dank seinem dreirädrigen Töffli ist er noch weitgehend selbständig und wohnt seit 2001 allein im elterlichen Bauernhaus in Plona. Nachdem er in früheren Jahren oft zu gehorchen hatte und andere die Früchte seines Schaffens ernteten, führt er heute ein eigenständiges Leben in Bescheidenheit und strahlt Zufriedenheit aus.

Als Zweitjüngster ist Jakob Heeb (Köbi) mit seinen Eltern, den vier Brüdern und einer Schwester in Plona aufgewachsen. Es sei eine schöne Kindheit gewesen, sagt er, auch wenn die Kinder schon früh zur Arbeit herangezogen worden waren. Auf dem Bauernhof hätte es immer Arbeit gegeben und so spielte sich das Leben der Familie weitgehend im kleinen Weiler ab. Die Schule besuchte Köbi in Lienz. Der lange und beschwerliche Schulweg über das Furnis war für die kurzen Beine der kleinen Kinder oft fast nicht zu bewältigen. Im Winter schritten die grösseren Kinder voran, die Kleineren folgten auf dem vorgespurten Weg.

Anstrengender Schulweg

Besonders stressig sei es jeweils am Mittag gewesen, wenn man zum Mittagessen nach Hause rannte, um sich, gleich nachdem der letzte Bissen verschlungen war, wieder auf den Rückweg zur Schule zu machen, erinnert sich der Ploner. «Oft konnte ich wegen der Anstrengung fast gar nichts essen.» Auf dem Schulweg hätten sie aber auch viel erlebt.

Ein paar Jahre später wurde von den Behörden die Zuteilung der Schulzugehörigkeit der Ploner Kinder nach Rüthi angeordnet.

Wenn zwischendurch der Lehrer mal nicht da war, (was leider viel zu wenig vorkam) hat Köbi die Gelegenheit gerne genutzt, um auf die Alp zu gehen. So gerne sei er nämlich nicht zur Schule gegangen, sagt er, denn da sei es manchmal rabiat zu und her gegangen.

Nach der Schule wollte Köbi eigentlich weggehen und eine Lehre machen. Das aber war nicht nach seines Vaters Sinn: «Du bruuchscht en Dreck furt, do gits gnueg Arbet», noch gut erinnert sich Köbi an diesen Kommentar seines Vaters.  So blieb er zu Hause bei den Eltern und seinem acht Jahre älteren Bruder Johann und rannte dem Vieh nach... Das Vieh sei damals nämlich auf zwei verschiedene Weiden aufgeteilt gewesen und Zäune hätten sie keine gehabt. Deshalb sei er ständig auf den Beinen gewesen, um das Vieh zusammen zu halten. Nach dem Tod des Vaters im Jahr 1970 erbte Bruder Johann das  Bauerngewerbe und den Hof, an Jakob ging das «Ebnet».

Selten im Ausgang

Auszugehen war für den jungen Burschen Köbi selten ein Thema.  Zum einen, weil es nach der Stallarbeit zu aufwändig gewesen sei, sich für den Ausgang zurechtzumachen. Zum anderen wollte ihn der Vater oft nicht mit den gleichaltrigen Kollegen weggehen lassen. «Manchmal bin ich dann am Sonntag nach der Kirche einfach nicht nach Hause gegangen, sondern habe den Nachmittag im Dorf verbracht.»

Während der Sommermonate arbeitete Köbi viele Jahre auf den Alpen Räberen und Oberkamor,  erst als Gehilfe und später als Hirt. Damals hätte man viel Arbeit gehabt auf der Alp, erinnert er sich. Die Strassen wurden noch vom Mist befreit und das Vieh wurde tagsüber wegen der Brämenplage in den Stall gelassen und ging erst abends wieder auf die Weide.

Einseitige Kost auf der Alp

Köbi war gerne auf der Alp. Ein grosser Wehrmutstropfen aber sei die einseitige Kost gewesen. Fast nie habe er Fleisch mitnehmen dürfen, wenn er ins Tal zur Familie gekommen sei, um sich mit Proviant einzudecken. «Das ist sicher auch ein Grund, weshalb ich so klein geblieben bin», sinniert Köbi noch heute.

«Den Lohn, den ich fürs Sennen erhalten habe, musste ich bis auf den letzten Rappen dem Vater abgeben.» Nur einen Teil davon abzugeben, wurde nicht akzeptiert, denn der Vater habe immer genau gewusst, was Köbi verdient hätte. Das Geld wurde dann der Schwester zugesteckt, die mit ihrer Familie in St. Gallen lebte und das Geld brauchen würde, erinnert sich Köbi. Ebenso sei mit dem Geld verfahren worden, welches er bei seinen auswärtigen Arbeiten im Winter verdient hätte (z.B. Bauwerk St. Margrethen).

«Ich musste mich damals sogar noch rechtfertigen, dass ich Geld für die Zugfahrt zur Arbeit und das Mittagessen ausgegeben hatte.»

Späte Eigenständigkeit

Er sei regelrecht ausgenommen worden, klagt Köbi. «Ich wollte nach Altstätten gehen, um zu klagen und zu fragen, ob das denn rechtens sei, aber dann hat der Vater gepoltert und ich habe es gelassen.»

Seit sein Bruder Johann im Jahre 1997 und Schwägerin Katharina im 2001 gestorben sind, lebt er allein im Bauernhaus, wo er das Wohnrecht auf Lebenszeit hat. «Das Haus wurde mit meinem Geld instand gehalten», erzählt er. Dennoch ist es auch jetzt nicht sein Eigen, sondern wurde an die Familie der Schwägerin vererbt. Das schmerzt.

Ein «Weibsbild» fehlt

Köbi macht mit seinen bald 92 Jahren einen wachen und zufriedenen Eindruck.  Auch wenn es hier und dort zwickt, so ist er noch recht selbständig. Falls nötig, kann er auch stets auf die Hilfe der Nachbarn Hanni und Bernhard Egeter zählen. «Es wäre schon schön, wenn ein Weibsbild im Hause wäre», sagt Köbi, denn manchmal sähe er die Welt schon etwas verkehrt und das Leben würde mit zunehmendem Alter auch nicht gerade einfacher.

Wenn er im Nachhinein etwas ändern könnte in seinem Leben, dann würde er heute eine Lehre machen, sagt er. Und er würde das Elternhaus in jungen Jahren verlassen und seinem Leben einen anderen – eigenen – Verlauf geben. Und dann würde er sicher das Geld haben, um zu heiraten.

Heidy Frei